PNP-Artikel vom: 21.02.2012

Energieexperte Max Winkler: "EEG stellt die Weichen falsch"

"Gesetz behindert Stärkung der dezentralen Stromversorgung" - Kritik an fehlendem Gesamtkonzept für Leitungsbau - Forderung von Insellösungen

Passau. Das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) stellt in Sachen Energiewende vielfach falsche Weichen, für den Bau neuer notwendiger Hochspannungsleitungen fehle ein Gesamtkonzept und die Vorstellung, mit Solarenergie weiteres Energie-Wachstum und billigen Wohlstand zu sichern, sei eine Illusion: Davon ist Max Winkler, Dipl-Physiker, Chef eines Energienutzungs- und Beratungsunternehmens und 2. Bürgermeister von Simbach am Inn, überzeugt. Im Interview mit der PNP gibt er noch mehr zu bedenken.
In Netzleitstellen wird das überregionale Stromnetz kontrolliert. Fällt es aus, sagt Max Winkler, würde nach derzeitigem Stand auch das regenerative, lokal erzeugte System für Solar-, Wind- und Biogasstrom völlig zusammenbrechen. -
Foto: ddp
Herr Winkler, seit wann beschäftigen Sie sich mit Energiefragen?
 
Max Winkler: Intensiv seit 1975. Ich war der erste energiepolitische Sprecher vom Bund Naturschutz in Bayern und in dieser Eigenschaft Mitglied im Energiebeirat des bayerischen Wirtschaftsministerium. Ich habe wesentlich mitgewirkt, um die geplanten Atomkraftwerke in Pleinting, in Rehling bei Augsburg und in Marienberg bei Rosenheim zu verhindern - und damit wohl auch die Bayernwerke vor milliardenschweren Fehlinvestitionen bewahrt. Heute geht es mir als Kommunalpolitiker in Simbach darum, unsere Heimat vor gewaltigen Fehlplanungen im Höchstspannungsleitungsbau zu bewahren.
Darauf kommen wir noch. Zunächst: Kommt Deutschland - wie beschlossen - in zehn Jahren ohne Atomstrom aus?

Winkler: Dies ist ein sehr ehrgeiziges Ziel, das mit den derzeitigen Maßnahmen aber weder strukturell noch zeitlich noch finanziell realisiert werden kann. Alles hängt davon ab, welche Stromeinsparungen in dieser Zeit effektiv erreicht werden. Dies ist der häufig völlig unterschätzte, aber wichtigste Teil der Energiewende. Energieeinsparungen werden dabei nicht in Kilogramm-Papiergutachten gemessen, sondern in Kilowatt Leistung und Kilowattstunden Energie.
Macht die Politik zu wenig?
 
Winkler: Die Politik macht nicht zu wenig, aber nicht das Richtige. Die politischen und wirtschaftlichen Vorgaben sind gut gemeint, aber nicht gut. Die Förder- und Tarifstrukturen sind uneffektiv und teils kontraproduktiv. Die Gesetze und Verordnungen werden von Juristen und Politikern gemacht, die Kilowatt und Kilowattstunden nicht unterscheiden können.
 
Max Winkler - Foto: Gilg
 
Per EEG soll die Energiewende klappen. Sind die Erwartungen zu hoch?
 
Winkler: Das EEG hat die Energiewende tatsächlich sehr in Schwung gebracht, aber Strukturen geschaffen, die Probleme für die Zukunft bringen. Daran werden wir noch gewaltig zu tragen haben. Zudem verhindert das Gesetz die Dezentralität der Nutzung der Erneuerbaren Energieerzeugung geradezu. Außerdem wird die zu erwartende Kostenentwicklung der Elektrizität nicht realistisch dargestellt.
 
Können Sie ein Beispiel nennen?
 
Winkler: Der Bundesverband Solarwirtschaft e.V. (BSW-Solar) verbreitet die Meldung: "Solarstrom senkt die Strompreise mittags um bis zu 40 Prozent." Derartige Falschmeldungen ärgern mich als Pionier der Anti-AKW-Bewegung ganz besonders. Diese Meldung ist absolut irreführend und unseriös. Es wird zu einem gewaltigen Unmut über die Täuschung der Solarstromindustrie über Folgekosten der Energiewende beim Stromverbraucher führen.Die Spitzenpreissenkung in Stromüberschusszeiten ist nicht die Lösung, sondern das Problem von Solar- und Windkrafterzeugung nach dem derzeitigen EEG-Tarif.
 
Warum denn das?
 
Winkler: Windkraftstrom senkt zu Spitzenwindkraftzeiten bei geringem Verbrauch den Strompreis sogar um 200 Prozent. Wenn der Wind weht, aber der Strom nicht gebraucht wird, werden negative Strompreise bezahlt, sehr zur Freude der österreichischen Pumpspeicherwerke und voll zu Lasten der Verbraucher über die enorm steigende EEG-Abgabe und die Netznutzungsgebühren. Wir sollten eine ehrliche Diskussion über Erzeugung, Netz und Speicherung und vor allem über Energiesparkonzepte und intelligente und soziale Strom-Tarife führen.
 
Was kritisieren Sie noch am EEG?
 
Winkler: Es fördert zentrale Einspeisung ins Netz, ist statisch mit überhöhten Einspeisetarifen für 20 Jahre festgelegt - ohne Rücksicht auf Eigenverbrauch und Strombezugskosten sowie Erzeugungskosten. Das Ergebnis ist, dass Photovoltaikstrom zu 100 Prozent ins Netz geliefert wird, ohne Rücksicht auf Bedarf und ohne irgendeine intelligente Strategie des Stromsparens oder der Stromnutzungsanpassung. Daher verhindert das bestehende EEG geradezu eine bedarfsorientierte, intelligente Energienutzung. Die Synchronisation von erzeugter Leistung und abgeforderter Last wird durch das EEG nicht gefördert.
 
Ist Stromerzeugung vor Ort nicht dezentral?
 
Winkler: Erneuerbare Energien haben eine geringe Leistungsdichte und werden naturgemäß dezentral erzeugt. Das EEG ist jedoch nicht eigenverbrauchsorientiert und bestraft die dezentrale Nutzung. Bei allen größeren Anlagen reicht der Hausanschluss keineswegs aus und es müssen eigene Anschlussleitungen zur Trafo-Station oder zum externen Anschlusskasten gelegt werden. Dies ist Netz- und Stromkostenbelastend. Die durch das EEG geförderten PV-Anlagen, Biogas-Großanlagen und Windparks vermindern nicht die Stromnetzabhängigkeit. Fällt das überregionale Stromnetz aus, bricht auch das regenerative, lokal erzeugte, EEG-subventionierte Solar-, Wind- und Biogasstromsystem völlig zusammen. Besser wären Insellösungen und die Belohnung von lastoptimiertem Verbraucherverhalten. Beides aber wird vom derzeitigen EEG und Stromtarifen geradezu verhindert.
 
Was kritisieren Sie am Leitungsbau?
 
Winkler: Wenn wir unser bisheriges zentralistisch organisiertes Energieversorgungs- und Energieverteilungssystem mit Mega- und Gigawatt-Großkraftwerken einfach von Atomkraft auf Solarkraft umstellen wollen und unseren Leitungsbau am bestehenden und gegebenenfalls noch höheren Stromverbrauch - etwa wegen der E-Mobilität - ausrichten, so brauchen wir Gigawatt-Offshore-Kraftwerke, Gigawatt-Pumpspeicherwerksleistungszubau und milliardenschwere Investitionen in den Leitungsbau.
 
Reicht das bisher Geplante nicht?
 
Winkler: Es fehlt jede systemische Kalkulation für künftige Energieversorgungsszenarien. Die Kommune Simbach hat erfahren, wie schlampig und mit fehlender ortskundiger und fachlicher Kompetenz volkswirtschaftliche Milliardenbeträge fehlgeplant werden. Die vielbeschworenen Möglichkeiten der Energieeffizienzsteigerung durch intelligente Netze ("Smart-Grid"; "Smart-Meter") werden nur genutzt werden, wenn ein intelligentes Smart-Tarifsystem eingeführt wird.
 
Wie soll das aussehen?
 
Winkler: Ohne intelligente, lastabhängige Tarife - sowohl im Einspeise- als auch im Verbrauchsbereich - bleiben alle regenerativen Stromwelten inklusive E-Mobilität Theorie. Auch die Netznutzungsgebühr sollte entfernungsabhängig werden. Dann würden sich entfernte Stromimportlieferungen nicht mehr rechnen und die Leitungskosten gerechter aufgeteilt werden. Damit bekämen dezentrale Stromversorgungsstrukturen eine Chance. Es muss auf verschiedene Wege gesetzt werden, weil klar ist: Es gibt keinen erneuerbaren, regenerativen billigen Königsausweg aus dem Raubbau- und dem Energieverschwendungssystem, das wir haben.
 
Kritiker meinen, die Energiewende wird viel teurer, als die Politik bisher sagt. Ist das auch Ihre Meinung?
 
Winkler: "Watt, Wachstum, Wohlstand - für eine grüne Zukunft mit Solarenergie" - das ist eine Illusion! Wer glaubt, dass wir für eine Billion Euro Güter für den Export produzieren können mit einem nachhaltig und dezentral erzeugten billigen Energieangebot im eigenen Land, leugnet die physikalischen Fakten. Die Zielsetzung ist richtig, auf erneuerbare Energien umzustellen. Die notwendige wirtschaftliche Umstrukturierung wird in einem Industrie- und Exportland noch längere Zeit auf fossile Kraftwerke angewiesen sein. Diese sollten höchst effizient und mit Wärmekraftkopplung betrieben werden.
 
Interview: Alois Schießl