zurück

PNP-Artikel vom: 29.09.2008

Lange Gesichter bei der CSU

Ihre Betroffenheit ließ sich nicht verbergen: Ministerpräsident Günther Beckstein (r.), CSU-Chef Erwin Huber, ihre Ehefrauen Marga (l.) und Helma (2.v.l.), sowie CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer hatten sich auf Verluste eingestellt. Dass sie so stark ausfallen würden, hatten sie allerdings nicht erwartet. (Foto: Reuters)

Götterdämmerung im Maximilianeum. Während die CSU versucht, den Schock zu verdauen, beginnt bereits das erste Abtasten mit möglichen Koalitionspartnern. 
Von Alexander Kain 

„Scheiße!", raunzt Günther Beckstein im Vorübergehen. Chaos herrscht im Steinernen Saal, der Lobby des Bayerischen Landtags, am Münchner Hochufer der Isar gelegen. Draußen geht gerade die Sonne unter. Götterdämmerung. Viele Dutzend Fernseh- und Radiosender haben im Maximilianeum ihre Studios aufgebaut, die Scheinwerfer und Hunderte Besucher heizen die Räume auf, Reporter quasseln in Fernsehkameras, ziehen Studiogäste und Parteifunktionäre heran zum Interview, aufgeregte Pressesprecher drängen zu den nächsten Studioterminen, dazwischen servieren die Landtagskellner Wasser, Saft, Bier und Wein. "Bleiben Sie?", die alles entscheidende Frage an Günther Beckstein, als er zwischen dem Studio des Bayerischen Rundfunks und dem ZDF wechselt. Klare Antwort: "Ja!", dann muss er weiter, Frau Marga im Schlepptau. Nein, die Regierung will die CSU nicht loslassen. Auch nicht nach diesem Wahlergebnis. Noch weit vor 18 Uhr, als die noch geheimen Wählerbefragungen den Parteien bereits bekannt waren, hat Beckstein bei der FDP angerufen, um Gespräche anzubieten. Einer muss die Regierung weiterführen, Ruhe hineinbringen. Staatstragend nennt man so etwas wohl. Und das wird, so stellt es sich im Moment dar, wohl Beckstein sein.

"Das Chaos wird zum Orkan anschwellen"

"Ich stehe für Koalitionsverhandlungen zur Verfügung", holpert Beckstein vor der Kamera, und erklärt, die nächsten Jahre würden nicht einfach, notwendig sei, dass die CSU "wieder eine höhere Bündelungsfunktion für das bürgerliche Lager" biete. Es sei "jetzt eine schwierige Situation für die CSU", aber er werde "alles dafür tun, die CSU zusammenzuhalten", man könne jetzt "auf niemanden in der CSU verzichten". Beckstein will politisch überleben - obwohl er im Vorfeld erwogen hatte, zurückzutreten, sollte das Ergebnis schlecht ausfallen. Nun aber steht er, versucht es zumindest. SPD-Fraktionschef Franz Maget indes setzt nicht auf ihn: "Ich wüsste gar nicht, wer im Moment mein Ansprechpartner in der CSU wäre", heizt er Personalspekulationen an. "Das ist der schönste Tag in meinem bisherigen politischen Leben", befindet auch der Deggendorfer SPD-MdB und Vize-Chef der Bayern-SPD, Florian Pronold. Wenn er vor einem halben Jahr gesagt hätte, die CSU würde bei der Wahl ihre absolute Mehrheit verlieren, "dann hätten mich die Männer mit den weißen Turnschuhen abgeholt und in die Gummizelle gesperrt". Gut, die SPD sei "leider nur stabil geblieben", das aber sei "nur ein Wermutstropfen, der kann den süßen Wein des heutigen Abends nicht sauer machen". In der CSU, so analysiert Pronold, werde das Chaos der letzten Monate "nun zu einem Orkan anschwellen". Das Bild vom Orkan ist passend. Nur langsam fassen sich die CSU-Granden, wie paralysiert, mit stierem Blick waren sie am Abend in den Landtag gekommen, stammelten erste Einschätzungen. "Die Stimmung ist nicht erfreulich", es sei "ein schwarzer Tag für die CSU", und man müsse jetzt Gespräche führen mit SPD, Freien Wählern und FDP. Innenminister Joachim Herrmann spricht von einem "ganz schlimmen Ergebnis für die CSU", Justizministerin Beate Merk lässt wissen, sie sei "sehr enttäuscht". Und der niederbayerische CSU-Chef Manfred Weber, der zumindest ein Ergebnis über dem Landesdurchschnitt vermelden kann, spricht via Handy von einer "historischen Niederlage". Beckstein hetzt noch immer von Studio zu Studio. Maget und FPD-Chefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ebenso, dazu Grünen-Spitzenkandidat Sepp Daxenberger und Hubert Aiwanger von den Freien Wählern. Alle paar Minuten rennen sie sich über den Weg, machen Gesprächstermine für die kommende Woche aus. Ein paar reden nicht miteinander. Und mit zumindest einem will überhaupt keiner reden: Fritz

"Irgendjemand muss die Verantwortung tragen"

Schmalzbauer von der Linken. Die Post-Kommunisten bleiben draußen aus dem Maximilianeum. Erwin Huber handelt derweil nach dem Motto "Rettet Günther Beckstein". Beckstein habe das Vertrauen der CSU, lässt er wissen, dankt dem Spitzenkandidaten und dessen Frau Marga für ihren Einsatz. Seine eigene Zukunft steht heute, Montag, auf dem Spiel, wenn sich die CSU-Bezirksfürsten früh morgens um 5.30 Uhr mit ihren Leuten in den Bezirken telefonisch kurz schließen und ab 8 Uhr in der Hanns-Seidel-Stiftung miteinander reden, wenn sich die oberste CSU-Führung ab 10 Uhr in der Parteizentrale in der Nymphenburger Straße trifft. Für Erwin Huber und seine Generalsekretärin Christine Haderthauer wird es eng werden, raunen einige aus der obersten Parteiführung. "Irgendjemand muss die Verantwortung übernehmen." So war es seit jeher in der CSU. Das müsse jetzt "zu personellen Diskussionen führen", sagt der Passauer Politologe Professor Heinrich Oberreuter, und man weiß nicht, ob er das erwartet oder fordert. Dann fügt er hinzu: "Ob das dann auch zu personellen Konsequenzen führt, das werden wir sehen." Huber wird kämpfen, das ist klar. Er will nicht den Parteivorsitz an Bundesminister Horst Seehofer abgeben, der sich indes medial schon einschießt. "Ein einfaches Weiter so" werde es nicht geben, es gehe jetzt um "natürliche Autorität", es dürfe "keine öffentlichen Diskussionen" geben. Das Gegenteil dürfte er tatsächlich meinen. "Das meiste läuft jetzt über öffentliche Äußerungen", verrät ein Parteistratege und will nicht ausschließen, dass nächtens noch eine öffentliche Rücktrittsforderung kommt. Vom früheren CSU-Chef und Ministerpräsidenten Edmund Stoiber etwa. Auf ihn haben Huber und Beckstein eine Riesenwut. Um die eingefleischten Stoiber-Wähler nicht zu verschrecken, fuhren sie einen Schmusekurs, statt mit Stoiber zu brechen. Aber Huber baut vor: Wenn man heute die Situation analysiere, werde man nicht nur das letzte Jahr betrachten müssen, "sondern die gesamte Legislaturperiode, alle fünf Jahre". Eine klare Warnung an die Adresse Stoibers, sich mit Kritik zurückzuhalten.

zurück