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Berliner Zeitung-Artikel vom: 26.08.2008

Die Rebellin im Dirndl

Gabriele Pauli gibt nicht auf. Die CSU hat sie frustriert verlassen, jetzt wirbt sie für die Freien Wähler und will mit ihnen in den bayerischen Landtag
Sabine Rennefanz

NEUÖTTING. Samantha Jones hat sich ein schickes Dirndl angezogen, hochhackige Pumps dazu und ist in die bayerische Provinz gereist. Jetzt steht sie vor dem Bierzelt in Neuötting, aus dem Blasmusik klingt. Ein paar Kilometer entfernt liegt der berühmte Wallfahrtsort Altötting, nebenan ist der Papst geboren, es ist eine fromme Gegend.

Moment, Samantha Jones, die attraktive PR-Frau aus der US-Fernsehserie "Sex and the City"?

Nun ja, nicht ganz. Die schlanke Frau, die mit ihrer neuen Ponyfrisur der Fernsehfigur so ähnlich sieht, nur mit braunem Haar, heißt Gabriele Pauli und ist Politikerin. Immerhin hat sie als einfache Landrätin den mächtigen Parteivorsitzenden der CSU zu Fall gebracht, wie mit Edmund Stoiber im vergangenen Jahr geschehen. Sie hatte der Unzufriedenheit der Partei eine Stimme gegeben, hatte gesagt, was Sache war. Sie war für ein paar Tage die Heldin, eine politische Hoffnung, noch dazu glamourös. Dann gab es ein paar unglückliche Fotos, auf denen sie mit Latexhandschuhen zu sehen war, viel Ärger und schließlich den Parteiaustritt.

Jetzt will sie mit 51 Jahren ihrer Karriere eine neue Richtung geben. Wie so viele andere, die von der CSU frustriert sind, ist sie bei den Freien Wählern eingetreten, dem konservativen, ländlichen Wahlverband. In Neuötting hat sie ihren ersten Auftritt. Aufgeregt? "Ach, nein", sagt sie, lächelt freundlich, drückt den Rücken durch, dann hinein.

Die Stimmung ist gut, ausgelassen gar, zumindest bei den Funktionären der Freien Wähler, die Pauli für den Abend ins Bierzelt geholt haben. Sie erhoffen sich viel von der Frau, die erst seit Kurzem dabei ist. In Nürnberg wurde sie im Juni als Direktkandidatin aufgestellt, im Wahlkreis von Günter Beckstein, dem CSU-Ministerpräsidenten.

Gabriele Pauli soll den Freien Wählern ein Gesicht geben. Sie soll nicht nur in Nürnberg Wahlkampf machen, sondern in ganz Bayern. Sie soll helfen, den Verband in den Landtag zu bringen, zum ersten Mal in mehr als fünfzig Jahren. "Mit Pauli bekommt die Partei 7,4 Prozent, ohne Pauli 4,7 Prozent", sagt der einflussreiche niederbayerische Funktionär Eckart Lampe. In den jüngsten Umfragen liegen die Freien Wähler bei sieben Prozent.

Auch für Gabriele Pauli steht viel auf dem Spiel: Erringt sie ein Mandat für München, wäre das die Rache an der CSU, aus der sie so schmachvoll nach mehr als dreißig Jahren ausgestiegen ist. Die Frau sei ein Fall für den Psychiater, hatte Beckstein sie verspottet. Scheitert die Wahl, muss sie sich eine Arbeit suchen. Das Amt als Landrätin von Fürth hat sie nach 18 Jahren aufgegeben, sie lebt vom Übergangsgeld, das ein Jahr lang gezahlt wird.

Jetzt ist es Abend geworden in Neuötting. Drei Sicherheitsleute begleiten den Gast ins Zelt, die Bläser legen die Instrumente nieder, aus den Lautsprechern tönt der Schlager "Für Gabi tu ich alles". Das Lied stammt aus dem Jahre 1962, die meisten Besucher dürften sich daran noch persönlich erinnern. Mehr als 1 500 Menschen sind da, wer nicht Dirndl oder Lederhosen trägt, fällt hier auf. Gabriele Pauli hat sich noch nicht auf der Bank niedergelassen, da kommen schon die ersten Neugierigen vorbei.

Ein Rentner bittet um ein Autogramm, auf seinem Unterarm, neben der Tätowierung, ein älterer Herr mit Glatze möchte ein Handyfoto von ihr. Sie macht das alles mit, geduldig lächelnd. Seit dem Morgen ist sie im Süden des Freistaates unterwegs, sie hat Bauernhöfe besichtigt, sie hat sich mit Schweinezüchtern ablichten lassen, wie mit Dorfbürgermeistern und Kosmetikerinnen, die ihr Glück kaum fassen konnten, einmal mit einem Menschen fotografiert zu werden, den sie aus dem Fernsehen kennen.

Im Umgang mit den Leuten ist Gabriele Pauli selbstironisch und charmant, sie hat das, was man emotionale Intelligenz nennt und was viele an dem politischen Personal in München und Berlin vermissen. Sie trifft auch den derben Witz, den sie hier mögen. Einmal erzählt sie von ihrer Verabschiedung als Landrätin bei der Feuerwehr, da hätten sich die Feuerwehrmänner aufgestellt, der Chef habe gesagt, sie hätten ein Geschenk, einen kleinen Feuerwehrmann. Sie habe sich daraufhin die Männer angeschaut, sagt sie, und gefragt, welchen denn. Dazu grinst sie unverschämt.

 In Neuötting wird sie nun auf die Bühne geholt, sie trällert ihr Lied, in dem es um Erdäpfel, also Kartoffeln geht, holladihi, holladiho. Dann wird sie ernst. Sie spricht über die CSU als eine Partei, die keine Ideen mehr hat, sie redet über Politiker, die sich mehr um die Karriere kümmern als um die Wähler. Doch wenn man im Gespräch Gabriele Pauli etwas genauer nach ihren Ideen fragt, wird sie vage. Sie fordert mehr direkte Demokratie, mehr Volksbefragungen bei Themen, die die Rechte der Bürger berühren. Sie kann sich vorstellen, dass die Amtszeit von Ministerpräsidenten auf zwei Perioden verkürzt wird. Und dann die Sache mit der Sieben-Jahre-Ehe. Der Vorschlag, die Partnerschaft auf sieben Jahre zu begrenzen, sorgte vergangenes Jahr für Schlagzeilen. Pauli will dabei bleiben, auch als Kandidatin der Freien Wähler.

Sie wiederholt die eigenwillige Idee: "Warum soll es nicht schön sein, sich immer wieder das Ja-Wort zu geben? Ich bleibe dabei, dass es gut ist, so was auszuprobieren." Aus ihrer persönlichen Sicht mag die Idee, die ihr mit Freundinnen gekommen sei, sinnvoll sein, sie hat zwei gescheiterte Ehen hinter sich.

Die Menschen in Oberbayern sind weniger begeistert. Kaum jemand klatscht, als sie die Bühne in Neuötting verlässt. Die Leute hier sind sehr konservativ, dass einer so etwas Gottgegebenes wie die Dauer der Ehe in Frage stellt, halten viele für Schmarrn. Auch die Freunde von den Freien Wählern sind mit ihrem Auftritt nicht glücklich. Man hätte sich doch gewünscht, dass sie ein wenig mehr über die Ziele des Wahlverbandes redet, der sich mit seiner Mischung aus wertkonservativer Familienpolitik und seiner Kritik an Globalisierung und Investorenmacht um Bürgernähe bemüht.

"Sie muss ein bisschen mehr aus sich herausgehen und nicht so viel esoterisches Zeug reden, dass sie die Leute glücklich machen will und so", sagt Jürgen Horst Dörfler, Kreischef der Freien Wähler in Nürnberg. Der Franke hat den Termin arrangiert, ein blonder Hüne im Holzfällerhemd. Er war auch mal bei der CSU, kennt Pauli seit mehr als zwanzig Jahren aus der Jungen Union, ihm hat sie die Kandidatur zu verdanken. Vielleicht fragt er sich, was er sich da eingebrockt hat, mit dieser ehrgeizigen, gelegentlich ungeschickten Politikerin. Die Freien Wähler sind keine Partei, erhalten deshalb auch keine staatlichen Wahlkampfgelder. Das Budget beträgt nur einen Bruchteil dessen, was ein Parteiapparat wie der der CSU zur Verfügung hat. Gabriele Pauli sollte ein Köder sein. Doch es zeigt sich, dass nicht jeder anbeißt.

So auch nicht ein gewisser Hubert Aiwanger, der Vorsitzende der Freien Wähler. Aiwanger hat den Wahlverband in den vergangenen Jahren modernisiert und auf Landesebene wählbar gemacht. Er ist 37 Jahre alt, Bauer, auf Plakaten trägt er Tracht und Drei-Tage-Bart. Zwischen ihm und Gabriele Pauli liegen Welten. Gemeinsame Auftritte sind nicht geplant.

Die Skepsis ist auch bei vielen einfachen Mitgliedern geblieben. Vor ihrem Besuch in Oberbayern hat es in den Ortsvereinen große Diskussionen gegeben. Besonders die männlichen Parteifreunde hätten Bedenken gequält, berichtet eine Frau schüchtern. Sie ist um die Vierzig, trägt einen selbstgestrickten Pulli und Birkenstock-Sandalen. Sie würden ja wahnsinnig gerne die Frau Doktor Pauli sehen, hätten die Männer zugegeben, wüssten aber nicht, ob sie dürften. Sie müssten erstmal ihre Frauen fragen. Schließlich könnte ja ein Auftritt mit so einer Person wie der Pauli unabsehbare Folgen haben, für den Haussegen womöglich. Die Frau im Pulli lächelt nicht, sie meint das ernst. Sie könne das schon verstehen sagt sie, schließlich sei in der Presse so viel Negatives zu lesen gewesen.

Gabriele Paulis Erscheinung spielt in Neuötting im Bierzelt immer wieder eine Rolle, weil es eben in Deutschland ungewöhnlich ist, wenn sich eine Frau, die politische Macht anstrebt, auch wie eine Frau anzieht: "Die ist schon nimmer sexy, die ist schon halb sieben", dichtet spontan ein Sänger, der Reime im Drei-Vierteltakt vorträgt.

Gabriele Pauli findet es gut, dass es Diskussionen um ihre Kandidatur gab, sagt sie. Sie sieht das als Zeichen dafür, dass es bei den Freien Wählern demokratischer als bei der CSU zugeht. Dass man sagen kann, was man denkt. Sie hat das spät im Leben entdeckt, im CSU-Vorstand ist sie viele Jahre nicht als aufmüpfig aufgefallen. "Ich war ehrgeizig und angepasst."

Die CSU weiß nicht so richtig wie sie mit ihrem ehemaligen Vorstandsmitglied umgehen soll - und schwankt zwischen Ignorieren und Dramatisieren. Kurz vor Gabriele Paulis Besuch in Neuötting war schon Christine Haderthauer hier, die Generalsekretärin, und machte Stimmung gegen die Abtrünnige. Dabei hat sie ihr den Job zu verdanken. Erst als Gabriele Pauli bundesweit bekannt wurde, fiel den Herren in der CSU auf, dass der Partei die Frauen fehlen. So hat Gabriele Pauli letztlich die CSU verändert, auch wenn sie selbst davon nun nichts mehr hat. Das ist das Schicksal von Nestbeschmutzern.

Gegen Günter Beckstein hat sie als Direktkandidatin wenig Chancen, doch könnte sie das Parlament über die Liste Mittelfranken erreichen. Nach der Wahlkreisreform gehört dazu auch der Landkreis Fürth, wo sie zuletzt 2002 als Landrätin mit 65 Prozent wiedergewählt wurde. "Wenn mich nur ein Drittel von denjenigen wählt, die mich als Landrätin gewollt haben, dann bin ich drin", sagt sie.

Und was, wenn nicht?

Das wisse sie noch nicht. Gabriele Pauli hat keinen Plan B. Den hat sie nie. Sie ist kein strategisch denkender Mensch, das spricht aus ihren Worten. Das merkte man schon damals, als sie Stoiber stürzen wollte, ohne sich zu überlegen, wie es weitergehen soll.

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"Ich will, dass die Freien Wähler in den Landtag kommen, Vorsitzende will ich nicht werden." 

Gabriele Pauli

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